Notfallhelfer: Risikokompetenz, Selbsthilfe und Unterstützung der Einsatzkräfte


In Krisensituationen, Katastrophen- oder Großschadenslagen kommt der Risikokompetenz und der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung eine besondere Bedeutung zu. Hilfs- und Rettungsorganisationen stoßen gerade hier an ihre Grenzen. Die Gesellschaft für Sicherheitswissenschaft e.V. (GfS) hat es sich u. a. zum Ziel gesetzt, Initiativen und Maßnahmen zu unterstützen, welche die Selbsthilfefähigkeit in Krisen und Katastrophen verbessern sollen. Dies umfasst einerseits strategische Initiativen bzw. gesamtstaatliche Ansätze, andererseits aber auch spezielle Themen der Sicherheit und Gefahrenabwehr. Ein Beispiel ist die Teilausbildung von „Spontan-“ zu „Notfallhelfern“

Die augenblickliche Entwicklung der Einsatzfähigkeit von freiwilligen Rettungskräften geht dahin, dass die Zahl derjenigen abnimmt, die sich langfristig einer Organisation der (nichtpolizeilichen) Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) anschließen. Trotzdem wächst die Hilfsbereitschaft besonders bei Großschadenslagen, in denen zahlreiche „Spontanhelfer“ am Ereignisort ihre Unterstützung anbieten. Dieser Personenkreis ist allerdings nicht ausgebildet und steht nur zeitlich und räumlich begrenzt zur Verfügung. Diese beiden Problemfelder überschneiden sich an zwei Stellen:

a) Im Katastrophenfall, wobei als „Katastrophe“ eine Großschadenslage definiert wird, deren Ausmaß von den lokal bzw. regional vorhandenen Einsatzkräften und Organisationen wenigstens zeitweise nicht mehr ohne zusätzliche Kräfte bewältigt werden kann.

b) Im „normalen“ Schadensfall. Während Ausbildung und Ausrüstung und damit auch die Effektivität der Rettungskräfte immer besser und spezialisierter werden, verlängert sich das sogenannte hilfeleistungsfreie Intervall, also die Phase zwischen Eintritt des Schadensfalls und Eintreffen ausgebildeter Rettungskräfte. Der Grund dafür ist die abnehmende Zahl der besonders tagsüber zur Verfügung stehenden voll ausgebildeten Rettungskräfte und die Schließung bzw. Zusammenlegung von Standorten.

Beide Problemfelder können durch „Notfallhelfer“ bis zu einem gewissen Grad aufgefangen werden.

In vielen europäischen Ländern werden für den wahrscheinlichen Fall zukünftiger Wiederholungen von Krisensituationen wie der Hochwasserlage 2013 Reaktionssysteme aufgebaut. Die Registrierung potentieller freiwilliger Helfer ist ein richtiger erster Schritt – die meisten „Spontan“-Freiwilligen sind nämlich streng genommen das nicht: Sie helfen vielmehr als Resultat einer dem Ereignis vorausgehenden Hilfsbereitschaft und eben nicht spontan. Die Bundesländer Bayern und Mecklenburg-Vorpommern sind deshalb einer österreichischen Initiative gefolgt; Hilfsbereite können sich in den sogenannten TEAM-Programmen eintragen. Allerdings erhalten die TEAM-Mitglieder keinerlei Ausbildung. Das ist aber nach Ansicht der GfS der vernünftigste und wirtschaftlichste Ansatz: Je besser vorausgebildet die „Spontan-Helfer“ sind, desto besser wird ihre Kooperation mit den BOS gelingen. Rechtlich möglich ist zum Beispiel heute schon die Ausbildung zu Brandschutzhelfern, mit Zusatzelementen zum Beispiel in der Handhabung von Tauchpumpen oder im Sandsackverbau. Auch der Einsatz von so geschulten Notfallhelfern zusammen mit und unter Anleitung von Angehörigen der BOS ist möglich. Ein versicherungstechnisches Problem besteht aber da, wo bei einer stärkeren organisatorischen Anbindung der teilausgebildeten Kräfte diese dann den BOS zugerechnet werden müssten. Es soll aber weder eine „Feuerwehr Light“ noch eine Parallelstruktur geschaffen werden nach dem Modell der amerikanischen „Community Emergency Response Teams“ (CERT). Worum es geht, ist die Widerstandskraft, die eine Gesellschaft einer Krise im Schadensfall entgegenbringen kann

Im hilfeleistungsfreien Intervall trotzdem Hilfe leisten zu müssen ist eine Situation, die grundsätzlich alle treffen und in der eine Reaktion über Leben und Tod entscheiden kann. Ausgebildete Helfer werden dabei kompetenter agieren als Personen ohne Ausbildung, wodurch Folgeschäden reduziert werden. Ob – und wenn ja – wie die Notfallhelfer in die operativen Strukturen eingegliedert werden, muss von Fall zu Fall und von Organisation zu Organisation entschieden werden

Seit 2013 ist eine Reihe nationaler und europäischer Forschungsprojekte initiiert und durchgeführt worden, die Probleme der Koordination und Integration ungebundener, vor Ort auftretender Helfer bearbeiten. An den bisher vorgelegten Ergebnissen fällt auf, dass einige rechtliche und versicherungstechnische Fragen offengeblieben sind und es nur wenig Material zur praktischen Umsetzung gibt.

Die GfS fordert nationale und europäische Regierungsverantwortliche dazu auf, die versicherungsrechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen bzw. zu verbessern, damit potentielle Helfer Grundlagen vermittelt bekommen, und dass sie als Freiwillige nicht nur im Einsatz sondern auch schon bei gemeinsamen Übungen mitwirken können. Die GfS sieht in der flächendeckenden Ausbildung von Notfallhelfern – analog zur medizinischen Ersten Hilfe – die Möglichkeit, die gesamtgesellschaftliche Risikokompetenz und Selbsthilfefähigkeit zu stärken, wodurch auf die Anforderungen des demographischen Wandels und der Klimaveränderungen konstruktiv reagiert werden kann.



Autoren (alphabetisch geordnet)
Dr. Sebastian Festag
Professor Dr. Sylvius Hartwig
Dr. Jürgen Hecht
Professor Dr. Wolfgang Hochbruck
Ass. Professor Dr. Hannes Kern
Christoph-Johannes Kirchner
Professor Dr. Siegfried Radandt
Professor Dr. Dr. h.c. Juraj Sinay



Kontaktdaten für das Thema
Professor Dr. Wolfgang Hochbruck
Abt. Nordamerikastudien/Englisches Seminar / Centre for Security and Society
Albert-Ludwigs-Universität
Rempart Str. 15, D- 79098 Freiburg
Tel.: 0761/2033344
E-Mail: wolfgang.hochbruck@anglistik.uni-freiburg.de

 

 

 

 

Über die GfS
Die im Jahre 1978 in Wuppertal gegründete Gesellschaft für Sicherheitswissenschaft e. V. verfolgt die Philosophie einer eigenständigen, in sich geschlossenen und interdisziplinär ausgerichteten Sicherheitswissenschaft. Sie fördert als Plattform den fachlichen Austausch und die fachwissenschaftliche Weiterentwicklung über Symposien und Veröffentlichungen sowie den Nachwuchs im Bereich der Sicherheitswissenschaft (mehr Informationen über www.gfs-aktuell.de).

 

Veröffentlicht in:

Technische Sicherheit, Bd. 9, (2019) Nr. 1/2 (Januar/Februar), S. 14

BBK BEVÖLKERUNGSSCHUTZ, Ausgabe 1, 2019, S. 39-40

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