Anforderungen an Sicherheitsstrategien und Schutzmaßnahmen der Zukunft bei Wirtschaftlichkeit und Sicherheitsethik


In weiten Bereichen unserer modernen Industriegesellschaft tritt die Gewinnmaximierung als Ziel immer stärker in den Vordergrund. Wichtige andere Ziele wie z. B. der Schutz der Gesellschaft und der Umwelt treten dagegen zurück. Der technische Fortschritt besonders in der modernen Hochtechnologie – orientiert sich ebenfalls vorrangig an der Kosteneffizienz. Notwendige Aufwendungen zur Bewältigung von Gefahren und Risiken dürfen demgegenüber aber nicht zurückstehen. Allein auf Kosteneffizienz zu setzen, stößt an ethische und strukturelle Grenzen, wenn damit andere Zielsetzungen ausgeblendet werden. Die vorliegende Stellungnahme der Gesellschaft für Sicherheitswissenschaft e.V. (GfS) befasst sich mit Auswirkungen des Wirtschaftlichkeitsgedankens auf den Umgang mit Sicherheitsproblemen. So lange Sicherheitsstrategien und Schutzmaßnahmen mit Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzipien verbunden sind, folgen sie primär ethischen Orientierungswerten. Überall dort, wo es um den Schutz von (geld-) kompensierbaren Werten geht – Gütern, Funktionen, Betriebsabläufen, Informationen, Prozessen und Strukturen – ist eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung im Zuge der Beurteilung von Gefährdungen und Risiken ein üblicher und ethisch akzeptabler Bewertungsmaßstab beim Abwägen von Schutzmaßnahmen und der zielgerichteten Umsetzung von Investitionen. Dieser Ansatz weist allerdings Grenzen auf, wenn bewusst oder implizit die Beeinträchtigungen von Leben und Lebensräumen und deren Sicherheitsanforderungen in das Kalkül einbezogen werden müssen, wie z. B. beim autonomen Fahren/Fliegen, selbstorganisierten Transportieren mit Digitalisierung und Vernetzung. Sie alle stützen sich in ihrem Kern auf Gewinnorientierung durch effiziente Strukturen, in die quantitative Risikobeurteilungen einfließen, bei denen Verluste an Menschenleben aber auch weitreichende katastrophale Konsequenzen – bei derzeit unbekannter Wahrscheinlichkeit – in Kauf genommen werden. Das durch die Einrichtung des wirtschaftlich Attraktiven und technisch Machbaren entstehende Risiko für Mensch und Umwelt wird auf bestehendes, gesellschaftlich akzeptiertes Risikoverhalten bezogen. So werden beispielsweise im Individualverkehr mit dem Auto jährlich mehrere Tausend Tote in Kauf genommen, während ähnliche Verluste in Luftfahrt oder Eisenbahnverkehr nicht toleriert werden. Eine ähnliche Diskussion um akzeptable Risiken findet bei der gegenwärtigen Debatte um Todes- und Krankheitsfälle durch Feinstaubbelastung statt. Bei der Nutzung der Kernkraft war zu beobachten, wie Angst vor dem Risiko anzunehmender Unfälle durch tatsächlich eingetretene Katastrophen andernorts hierzulande eine radikale Abkehr von der zivilen Nutzung herbeiführte.

Simple Verbote des technisch Machbaren scheinen vor diesem Hintergrund zweifelhaft. Wo sich der Wirtschaftlichkeitsgedanke eng verflochten mit technischem Fortschritt weiter durchsetzt, muss darauf geachtet werden, dass dies nicht in gesellschaftlichen und die Umwelt betreffenden Bereichen zum alleinigen Orientierungsmaßstab wird. Wenn eine Risikoabschätzung die bewusste oder implizite Quantifizierung als akzeptabel anzunehmender Verluste an Menschenleben und Umweltschäden billigend in Kauf nimmt, dann werden dadurch persönliche Grundwerte berührt – ebenso wie die öffentliche Sicherheit und zwar noch diesseits der dadurch aufgeworfenen ethischen Fragestellungen.

Die GfS fordert die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft dazu auf, sicherheitsethischen Fragestellungen im Rahmen des technischen Fortschritts Priorität einzuräumen und den gesamtgesellschaftlichen Diskurs darüber zu fördern. Es sind fundamentale Entscheidungen gefordert. Die Sicherheitswissenschaft kann bei den Weichenstellungen mit ihren Erkenntnissen, Erfahrungen und etablierten Methoden helfen.


Autoren (alphabetisch geordnet)
Dr. Sebastian Festag
Professor Dr. Sylvius Hartwig
Dipl.-Ing. Harald Hauff
Dr. Jürgen Hecht
Professor Dr. Wolfgang Hochbruck
Assistenzprofessor Dr. Hannes Kern
Dipl.-Ing. Christoph-Johannes Kirchner
Dipl.-Ing. Florian Kraugmann
Professor Dr. Siegfried Radandt
Professor Dr. Ortwin Renn
Dr. Christian Rückerl
Professor Dr. Dr. h.c. Juraj Sinay
Professor Dr. Wolfgang Stoll
Professor Dr. René Treibert

 


Kontaktdaten für das Thema
Dr. Sebastian Festag
Präsident der Gesellschaft für Sicherheitswissenschaft e. V.
Kreuzkopfstr. 4, D-79100 Freiburg
Tel.: 0761/3842067
Mobil: 0160/4786164
E-Mail: s.festag@web.de

 

Über die GfS

Die im Jahre 1978 in Wuppertal gegründete Gesellschaft für Sicherheitswissenschaft e. V. verfolgt die Philosophie einer eigenständigen, in sich geschlossenen und interdisziplinär ausgerichteten Sicherheitswissenschaft. Sie fördert den fachwissenschaftlichen Austausch und die fachliche Weiterentwicklung sowie den Nachwuchs im Bereich der Sicherheitswissenschaft über Symposien und Veröffentlichungen (mehr Informationen über www.gfs-aktuell.de).

 

Veröffentlicht in:

VFDB Zeitschrift für Forschung, Technik und Management im Brandschutz, Heft 3, S. 195

 

Die Stellungnahme als PDF-Download

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert